Wie man in den Wald hineinruft

Meine Familie und ich zogen am Faschingsdienstag des Jahres 1996 nach Andelsbuch. So gab es an diesem Tag zwei Umzüge: den Faschingsumzug, der in diesem Jahr in Andelsbuch stattfand, und unseren Umzug nach Andelsbuch, in die älteste Parzelle namens Hof.

Nach einem zehnjährigen Auslandsaufenthalt waren wir wieder in Österreich und wählten den Bregenzer­wald als unseren Wohnort: Für Frank, meinen Mann, einen gebürtigen Bezauer, war es die Rückkehr in die Heimat. Ich, in der Wachau geboren, befand mich wieder einmal in einer völlig neuen Umgebung.

Zu Beginn war es gewöhnungsbedürftig: Der Wälder Dialekt klang für mich beinahe wie eine Fremdsprache. Ich verstehe ihn mittlerweile, spreche ihn aber nicht, vielleicht auch, um meine Identität nicht zu verlieren. Die Menschen waren mir gegenüber zwar freundlich, aber auch misstrauisch, teilweise offen und neugierig, dann wieder verschlossen.

Unsere Kinder waren zu der Zeit drei beziehungs­ weise zwei Jahre alt, mein Hauptaugenmerk galt meiner Familie und dem Haushalt. Trotzdem interessierte mich das kulturelle Leben in der Region sehr. Im Herbst 1996 fanden „Kulturtage in der Villa“ statt. Die Villa, ein imposantes Gebäude mitten in Andelsbuch, enthält eine aufgelassene Werkstatt, die der Kulturkreis Andelsbuch für ein Wochenende bespielen durfte. Organisator
dieser Aktionen war Hannes Metzler, der ein kleines Team von Mitschaffenden um sich geschart hatte. An diesem Wochenende gab es Veranstaltungen für Kinder, Lesungen und Konzerte. Zum ersten Mal hörte ich Otto Lechner auf seinem Akkordeon.

Bahnhof verstehen © Frank Broger

Bahnhof verstehen © Frank Broger

kulturverein bahnhof nach der Eröffnung, 2000

Das Gründungsteam vom kulturverein bahnhof: Hannes Metzler, Ursula Koch, Frank Broger, Mario Meusburger, Dorothea Manier-Lehner und Margarete Broger

kulturverein bahnhof nach der Eröffnung, 2000

kulturverein bahnhof nach der Eröffnung, 2000

Im Frühjahr 1997 wurde ich gefragt, ob ich im Kultur­ kreis mitarbeiten möchte. Dieser Einladung kam ich gerne nach, weil mich Kulturarbeit immer schon sehr interessierte und ich damit auch Gelegenheit fand, im Dorf Fuß zu fassen. Im Lauf des vergangenen Jahres hatte ich die Menschen genau beobachtet – nicht nur sie mich – und einige schöne Bekanntschaften geschlossen, teilweise natürlich über den Freundeskreis meines Mannes. Nun war ich bereit, im Kulturkreis mitzu­ arbeiten, obwohl ich mich bis dahin nie in einem Verein engagiert hatte.

Hannes Metzler war bestrebt, einen Raum oder ein Haus für kulturelle Veranstaltungen im Dorf zu finden. Zu dieser Zeit befand sich der Bahnhof von Andelsbuch in einem eher verfallenen Zustand. Das Gebäude wurde nach der Auflösung der Wälderbahn 1982 nur noch sporadisch genützt. Man diskutierte über eine Dorfplatz­ gestaltung ohne Bahnhof, das heißt, man wollte das Gebäude eigentlich abreißen.

Im Herbst 1999 gründete eine kleine Gruppe den kulturverein bahnhof, Gründungsmitglieder waren Hannes Metzler, Frank Broger, Ursula Koch, Dorothea Manser, Lukas Manser, Mario Meusburger und ich.

Von der Gemeinde erhielten wir die Genehmigung, den Bahnhof so lange zu bespielen, bis entschieden
sei, was weiter mit Gebäude und Platz passieren wird. Seitens der Gemeinde blieb man bei der Absicht, früher oder später den Bahnhof zu schleifen.

In Eigenleistung adaptierte unser Verein die ehemaligen Wohnräume des Bahnhofvorstehers für seine Zwecke. Der einstige Kassenschalter und der halbe Warteraum wurden zur Bar umfunktioniert. In der anderen Hälfte des Warteraums waren schon früher Toiletten eingebaut worden, ursprünglich befanden sich die Toiletten bei allen k. u. k. Bahnhöfen außerhalb des Gebäudes.

Schließlich war es soweit: Im Mai 2000 eröffneten wir den Bahnhof als Kulturstätte gemäß unserem Motto: Der bahnhof steht für Ankommen, Aufenthalt und Begegnung. Durch die Einrichtung als kultureller Treff­ punkt hatten wir dem alten Bahnhof diese Funktion wie­ dergegeben. Prominente Unterstützung für unser Anlie­gen erhielten wir von Josef Hader und Otto Lechner, dem aufgrund seines früheren Besuchs der Bregenzer­ wald und Andelsbuch bereits ein Begriff waren: Beide erklärten sich zu einer Benefizveranstaltung für den bahnhof und unsere Anliegen bereit.

Aus beruflichen und privaten Motiven sind einige Gründungsmitglieder im Lauf des Jahres aus dem Kulturverein ausgeschieden. 2001 übergab mir Hannes Metzler die Führung des Vereins. An dieser Stelle möchte ich mich bei Hannes bedanken, von ihm habe ich die Organisation von Veranstaltungen und die Leitung eines Vereins gelernt.

Trotz unserer Bemühungen war die Gefahr eines Abrisses des Gebäudes noch nicht gebannt: Die Außen­fassade war in einem sehr schlechten Zustand, von Sei­ten der Gemeinde wollte man nicht mehr in den Bahn­hof investieren.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entstand ein neues Gemeindehaus. Im Zuge dessen wurde auch die Dorfplatzgestaltung gemeinsam mit Architekten neu diskutiert. Sie waren wie wir der Meinung, dass der Bahnhof erhalten werden sollte. 2003 stellte die Gemeinde 40.000 Euro zur Verfügung, damit konnten wir zwar neue Fenster und Türen einsetzen, aber die Kosten der heiklen Restaurationsarbeit bei weitem nicht decken. Dank der Investition vieler ehrenamtlicher Stunden, vor allem durch Claudio Mätzler und Michael Fetz, strahlte der Bahnhof dennoch bald mit einer feinen neuen Fassade. Nun wurde er wieder wahrgenommen, war ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt.

Die Räume des Bahnhofs ließen sich bis 2007 nur mit einem Holz­ und Kohleofen heizen. Daher wollten wir anfangs möglichst wenig Veranstaltungen während des Winters abhalten. Allerdings stellte es sich heraus, dass gerade Herbst und Winter gute Veranstaltungsmo­nate sind. So musste ich jahrelang schon am Nachmittag vor einer Veranstaltung den Kohleofen anheizen, damit die Räume wenigstens ein wenig temperiert waren. Während der Woche verhinderten Elektroöfen das Gefrieren des Wassers in den Leitungen. Seit Herbst 2007 sind wir an das Fernheizwerk Andelsbuch angeschlossen, somit können wir den Bahnhof ohne großen Aufwand auch in den kalten Monaten bespielen.
Der kulturverein bahnhof organisiert rund vierzig Veranstaltungen pro Jahr, etwa dreißig davon im Gebäude selbst. Bei größeren Veranstaltungen müssen wir in andere Räumlichkeiten wie etwa in den Saal des Kindergartens, manchmal auch in andere Orte des Bregenzerwaldes ausweichen.

Wir werden von Bund, Land und der REGIO Bregenzerwald, einem Gremium, das sich der Regional­entwicklung widmet, sowie einigen privaten Firmen subventioniert. Die öffentlichen Förderungen belaufen sich gegenwärtig auf 23.000 Euro. Unser jährlicher Umsatz beträgt 50.000 Euro, die Differenz wird aus Mitgliedsbeiträgen, privaten Förderungen und Bewirtung während der Veranstaltungen aufgebracht. Zusätzlich bringen wir jährlich ungefähr 1300 ehrenamtliche Stunden ein.

Am meisten interessiert mich die programmatische Arbeit, die ich hauptsächlich allein bewältige. Da alle anderen MitarbeiterInnen im Berufsleben stehen, die Hauptorganisationsarbeit aber während des Tages erledigt werden muss, gehört auch diese zu meinem Aufgabenbereich. Die Hauptverantwortung im Verein trägt der Vorstand mit mir als Obfrau, Karin Ritter als Schriftführerin und Werner Schedler als Kassier. Unsere Arbeit unterstützen die aktiven Mitglieder Josef Bischof, Frank Broger, Karin Dorner, Bärbel Hofer, Sandra Kempf, Klaus Metzler, Patricia Petritsch, Sandra Pöltl und Gerda Rüscher. Alle zwei Monate treffen wir uns im Bahnhof, sammeln Ideen, besprechen Details, teilen die bei den Veranstaltungen anfallenden Arbeiten unter uns auf.

In der familiären Atmosphäre des bahnhofs kann man vieles wagen, gerade das macht den bahnhof für viele KünstlerInnen so attraktiv. Mittlerweile kommen so viele Anfragen von KünstlerInnen und Kulturschaffenden, die bei uns auftreten oder ausstellen wollen, dass wir nur einen geringen Teil davon annehmen können. Uns motiviert dieser Zuspruch, und wir freuen uns, wenn sich unsere Gäste bei uns wohlfühlen.

Die Schriftführerin des Vereins Karin Ritter hält mit mir die Website www.bahnhof.cc aktuell, gemeinsam bearbeiten wir auch den gesamten Schriftverkehr. Und es macht uns beiden Spaß, wir lachen viel und freuen uns über besonders gelungene und natürlich auf alle zukünftigen Veranstaltungen.

In unseren Statuten haben wir zwei wichtige Punkte festgehalten: erstens regionale Kultur und KünstlerInnen zu fördern und zweitens Veranstaltungen zu Kultur­phänomenen, die in der Region wenig präsent sind, anzubieten.

© Nora Fuchs

© Nora Fuchs

kulturverein bahnhof 01 © Adolf Bereuter

© Adolf Bereuter

Inwendiges – Gedichte von Gerhild Isenberg mit Fotografien von Günther Voppichler – edition bahnhof 2003

Inwendiges – Gedichte von Gerhild Isenberg mit Fotografien von Günther Voppichler – edition bahnhof 2003

Holstuonarmusicbigbandclub HBMC © Ludwig Berthold

Holstuonarmusicbigbandclub HBMC © Ludwig Berthold

Margarete Broger © Darko Todorovic

Margarete Broger © Darko Todorovic

Förderungswürdige KünstlerInnen gibt es im Bregenzer­wald viele. Um ihre Werke zu präsentieren, veröffent­lichen wir auch Bücher. Für unser erstes Buchprojekt „Inwendiges“ von Gerhild Isenberg gründeten wir kurzer­ hand 2003 die edition bahnhof. In dieser Edition erschien 2005 der Band „kreuzungen“ mit Gedichten von Norbert Mayer und Skulpturen von Armin Rupprechter.

Die Edition fungiert auch als Plattenlabel. Wir hatten das Glück, dass einige Musiker aus der heu­tigen Formation des holstuonarmusigbigbandclub immer wieder bei uns auftraten. Der bahnhof ist sozusagen die Geburtsstätte dieser Band. So brachten wir 2007 ihre erste CD „Querschlager“ und 2008 die zweite CD „free sin“ in der edition bahnhof heraus. Auch die in Vorarlberg bekannte Band „Silberdisteln“ hatte ihren ersten Auftritt am 23. Dezember 2005 im bahnhof.

Unser besonderes Augenmerk gilt der Literatur. Wir veranstalten gerne Lesungen mit AutorInnen, so waren bereits Josef Haslinger, Alfred Komarek oder Wäis Kiani bei uns. Stets ausgebucht ist die jährliche „Lesung mit Essen“. Ausstellungen von international bekannten KünstlerInnen wie Ona B., Paul Albert Leitner, Norbert Brunner oder Manfred Egender sind im bahnhof beinahe schon eine Selbstverständlichkeit. Dabei kommt es durch das besonders heimelige Ambiente sowohl im bahnhof als auch im Dorf oft zu anhaltenden Freundschaften. So gibt es seit der Ausstellung von Ona B. eine „Andelsbuch Gang“, die überall hinreist, wo die Künstlerin ausstellt, sei es in Graz, Innsbruck, Wien, Shanghai oder Peking. Stets ist die „Andelsbuch Gang“ dabei und übernimmt meist auch die Performance zur Eröffnung.

Wenn ich zurückblicke, bin ich unheimlich stolz auf das bisher Geleistete, gleichzeitig hege ich so viele Ideen, was wir noch alles machen könnten. Mittlerweile kommen nicht nur Menschen aus der näheren Umgebung des Bregenzerwaldes zu uns, sondern auch aus Feldkirch, Dornbirn, Bregenz, Liechtenstein und der Schweiz.

Im nächsten Jahr werden wir den Bahnhof ver­größern. Wir haben das angrenzende Bahnhofmagazin, einen Holzanbau, in dem früher mit der Bahn trans­portierte Güter gelagert wurden, dazubekommen und wollen mit dem Durchbrechen einer Wand den jetzigen Veranstaltungsraum vergrößern. Künftig werden wir nicht mehr so oft in andere Räumlichkeiten ausweichen müssen.

So hallt es zurück

Durch die Kulturarbeit habe ich in Andelsbuch und im Bregenzerwald Fuß gefasst, ich fühle mich hier mittler­ weile sehr zu Hause und freue mich, dass unsere Arbeit solche Früchte trägt. Ich möchte an dieser Stelle all jenen Dank sagen, die uns bei unserem Bemühen um den bahnhof und unserem Bestreben, Andelsbuch durch das kulturelle Leben im Bahnhof zu bereichern, ideell, finan­ ziell und mit viel Einsatz begleiten und unterstützen.

Margarete Broger
Text erschienen in „Bahnhof verstehen„, edition bahnhof
2008